Dienstag, 27. Januar 2009

Die Unendlichkeit der Nacht

Als wir vor eineinhalb Jahren ans Wattenmeer zogen, musste ich mich daran gewöhnen, dass um 23 Uhr die Straßenbeleuchtung im Ort ausgeht. Bis sechs Uhr morgens ist es in Meldorf dunkel wie in einer Kuh (wie meine Mutter zu sagen pflegt). Einzig am Bahnhof brennt noch eine Stunde länger eine einzige Neonröhre. Genau so lange, bis die letzte NOB nach Sylt durch ist. Wer mit diesem Zug der Nordostseebahn ankommt, muss sich beeilen über die grasbewachsenen Geleise auf den gepflasterten Bahnhofsvorplatz zu kommen. Denn das Licht verlöscht unwiderruflich, kaum hat die Lokomotive ihre leeren Waggons wieder in Bewegung gesetzt.
In der Mühle muss ich mich daran gewöhnen, dass der Tag finster und die Nacht hell ist. Tagsüber nimmt mir, wie bereits gesagt, die mächtige Kirche das Sonnenlicht weg. Und nachts, die ganze Nacht hindurch bis zur Frühmesse, erleuchten die strahlend weißen Laternen zu beiden Seiten des Treppenaufgangs zum Kirchenportal mein Schlafgemach. In dieses kühle Reinweiß mischt sich das warme Orangegelb der Schlosswegbeleuchtung und der Straßenlaternen oben vor dem Zivilstandsamt.
Natürlich verfügen meine fünf kleinen Fachwerkhausfensterchen alle über Sonnenschutzsenkrechtstoren. Aber die mag ich weder am Tag noch in der Nacht herunterziehen. Die quadratischen Fensterunterteilungen und die Wattstärke der Altstadtbeleuchtung bewirken, dass das Licht in der Nacht Gitter und Diagonalen an die Decke über meinem Bett wirft. Wenn ich nicht schlafen kann, weil mir mein Text im Kopf herumspukt, an dem ich nicht aufhören kann zu arbeiten, bis er fertig ist, liege ich mit offenen Augen auf dem Rücken. Ich betrachte die geometrisch geordneten Lichtbahnen, welche die geometrisch anders geordneten alten Balken und die moderne Deckentäfelung brechen, einschneiden, zersägen. Ich zähle auf der Spitze liegende Parallelogramme, Rechtecke, Rhomboide, Rauten, Räume, Trapeze - nicht Schafe. Die Nacht hebt den Raum, der tagsüber nur über eine Höhe von 2 Metern verfügt, seltsamerweise ins Unendliche auf.

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