Dienstag, 20. Januar 2009

Die rechte Seite und die linke Seite

Es wimmelt in Willisau von Schuhheiligen. Heute habe ich in der Heilig-Blut-Kapelle einen weiteren Crispin entdeckt. Er steht auf der rechten Seite des linken Seitenaltars und hält den Schuhmacherhammer in einer ebenso zierlichen Hand, wie sein Kollege in der schattenspendenden Pfeilerhallenkirche vor meinem Fenster.
Die Heilig-Blut-Kapelle hat nichts mit Schuhmachern am Hut, jedenfalls schweigt sich die Legende zum Beruf ihrer Protagonisten aus. Da heißt es nur, am 7. Juli 1392 sollen "drei Männer" Karten gespielt haben. Der Verlierer soll sein Schwert gezogen und in den Himmel hinauf gestoßen haben. Es möge den Leib Christi durchbohren, soll er gerufen haben - worauf prompt fünf Blutstropfen auf den Tisch der Spieler fielen. Den Gotteslästerer soll sofort der Teufel geholt haben. Der zweite Spieler soll beim Versuch, die Blutstropfen wegzuputzen, vom Schlag getroffen worden sein. Und der dritte soll, von Läusen zu Tode gemartert, auf der Schwelle des oberen Stadttores zusammengebrochen sein. Warum alle drei die gerechte Strafe Gottes ereilte, wo doch nur einer das Unglück herabbeschworen hatte, verstehe ich nicht. Aber bestimmt war keiner der Spieler Schuhmacher.
Auf der linken Seite des linken Seitenaltars steht ein Heiliger, dem das Werkzeug abhanden gekommen ist. Ich kann schwerlich behaupten, dies sei Crispins Bruder Crispinianus. Aber ich behaupte es. Aus dem einfachen Grund, weil er in der anderen Hand einen gleichen Palmwedel hält, wie beide Willisauer Crispins, die ich bisher entdeckte.
Warum allerdings die Brüder den gleichen Namen tragen, verstehe ich so wenig wie die Bestrafung aller drei Spieler. Vielleicht weil sie gleich aussahen und den gleichen Charakter hatten? crispus soll lateinisch Lockenkopf, der Kraushaarige oder der Fröhliche bedeuten. Aber der Ungereimtheiten sind noch mehr. Der Volksmund stellt die beiden Brüder gemeinhin als Diebe dar. Und das entbehrt jeder Grundlage. Verbockt hat dies kein Geringerer als Richard Wagner. Mit dem Lied der Schusterzunft im 3. Aufzug seines „Meister von Nürnberg“:
„Sankt Crispin, lobet ihn! / War gar ein heilig Mann, / zeigt, was ein Schuster kann. / Die Armen hatten gute Zeit, / macht ihnen warme Schuh; / und wenn ihm keiner 's Leder leiht, / so stahl er sich's dazu.“
Herr Wagner, oder sein Librettist, ist einem schnöden Verständnisfehler, einem Übersetzungs- oder Interpretationsfehler aufgesessen. Das Lied hat er nämlich nicht selbst erfunden, sondern einer altdeutschen Weisheit entlehnt:
"Crispin machte den Armen die Schuh / und stahl das Leder dazu".
stahl steht hier für stalt, und das heißt heute stellte. Die Weisheit sagt, dass Crispin den Armen Schuhe machte und ihnen auch das Leder dazu [zur Verfügung] stellte. Sprich: schenkte.

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