Donnerstag, 19. Februar 2009

Schmudo

"Schmudo" las ich heute an einer geschlossenen Ladentür. Mich interessierte nicht der Laden, noch die Tür, noch ob offen oder nicht, sondern nur der Zettel. Ich verfalle hier der Unart von W., der an nichts Geschriebenem vorbeigehen kann, ohne es zu lesen. Bei mir verschlimmert sich dieser Zustand noch: ich kann an nichts Gesagtem vorbeigehen, ohne es zu hören. Mich interessiert nicht, was die Leute erzählen, entweder einem realen Gegenüber auf der Straße oder einem Unsichtbaren am anderen Ende einer weissgottwielangen Leitung. Ich kann nicht aufhören, mich zu wundern, wie die Leute in diesem Land reden. Mit welcher Unverfrorenheit die sonst so auf die Bewahrung ihrer Geheimnisse bedachten Schweizer beispielsweise in überfüllten Zügen alle Mitreisenden an ihrem Privatkram teilhaben lassen, den sie - dies ist meine Analyse nach sechseinhalb Wochen nicht repräsentativer Beobachtung - aus lauter Langeweile kreuz und quer ausbreiten.
"Schmudo" lerne ich heute, ist die Abkürzung für Schmutziger Donnerstag. Und Schmutziger Donnerstag hat nichts mit Schmutz zu tun. Die Stadtreinigung fegte den Dreck nach dem Kinderumzug heute Nachmittag innerhalb einer halben Stunde weg. Danach sah die adrette Hauptgasse wieder aus, als wäre gar nichts gewesen. Schmutz oder Schmotz ist angeblich ein Dialektausdruck für Fett. Am Schmutzigen oder Fetten Donnerstag (vgl. Jeudi Gras oder Giovedi Grasso - um bei unseren eigenen Sprachen zu bleiben) wurde früher noch einmal geschlachtet und man versuchte sich bis zum Beginn der Fastenzeit am Aschermittwoch noch möglichst viele Fettreserven anzuessen.

Das Schönste, was mir der Kinderumzug am heutigen Schmudo gezeigt hat, waren die drei roten Flugzeuge der Air Willisau. Die drei kleinen Piloten trugen mit Pelz gefütterte Lederfliegermützen, Fliegerbrillen, Lederjacken, Lederhandschuhe, Lederhosen und sogenannte "Bücker-Stiefel". Sie bedienten ihre Pappkisten so gekonnt, wie einst der Baselbieter Flugpionier Oskar Bider seine ersten Fluggeräte. Sie schwebten und wackelten tatsächlich im kalten Wind über der Altstadt. Wie phantasielos wirkte dagegen der realitätsnah gebaute silberne Kampfjet, in dem zwei Kinder unter einem Glasdeckel untätig hintereinander saßen. Das Superding hielt nur mit Hilfe dreier Erwachsener die Balance am Boden. Vorwärts kam es über das Straßenpflaster auch nur dank dieser Großen. Zwei hielten hinten die Flügel fest und schoben. Einer zog vorne an einem Strick wie an einer Kuh.

Fliegen ist kein Alpaufzug. Und der Schmutzige Donnerstag ist der sauberste Tag des Jahres.

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