Dienstag, 31. März 2009

Schuhtrocknerei

In Menznau werden nicht nur Schuhe repariert oder die frisch eingetroffenen Schuhe der Frühjahrs- und Sommerkollektion verkauft, sondern bei Bedarf (nach Platzregen) werden Winter-, Halb- oder Ganzschuhe auch zum Trocknen an die Wäscheleine geklammert.

"Für das Überleben des Schuhs ist es wichtig, dass das Leder immer wieder gut austrocknen kann." (aus einem frühmittelalterlichen Standardwerk)

Montag, 30. März 2009

Dreizelgenwirtschaft

"Im Mittelalter wurde im Dorf Menznau vermutlich Dreizelgenwirtschaft betrieben" - lese ich im Internet. Und weiter: "Die Dreizelgenwirtschaft war eine ausgeklügelte Form der landwirtschaftlichen Produktion und der stabilen sozialen Vernetzung. Eine Besonderheit war der fließende Übergang von privatem und gemeinschaftlichem Eigentum."

Und dann erscheinen im Text so schöne Wörter wie Winterzelg, Sommerzelg, Brachzelg. Das heißt der Anbau folgte einer dreijährigen Rotation. Die angesäten Zelgen (die Winterzelg im Winter mit Dinkel und die Sommerzelg im Sommer mit Hafer) wurden mit einem Zaun umgeben, dem Zelghag, Friedhag oder Efad. Sobald die Zelgen abgeerntet waren, standen sie dem allgemeinen Weidgang als Stoppelweide wieder offen. Es war genau festgelegt, wann gepflügt und gesät, wann gejätet und geerntet, wann die Weide eröffnet wurde. Es sollten möglichst alle alle Arbeiten auf den Feldabschnitten, Schlägen oder Zelgen zur selben Zeit erledigen.
Diese kollektive Form des Ackerbaus betrachtete den Boden als Allgemeingut. Die Ackerflur wurde in erster Linie für den Weidgang der Tiere kollektiv genutzt, dann wurde für möglichst begrenzte Zeiträume auf bestimmten Zelgen kollektiv Getreide angebaut. Die Ernte wurde nach jeweiligen Landanteil der Grundstückseigentümer verteilt, obwohl die Erntearbeit oft auch kollektiv verrichtet wurde.
Ziel war es, den landwirtschaftlichen Ertrag zu steigern und zu sichern. Die Fruchtfolge minderte typische Langzeitschäden des monokulturellen Anbaus, auch witterungsbedingte Risiken konnten eingeschränkt werden.

Später, als jeder seins haben wollte bzw. individualistische Vorstellungen von Grundeigentum aufkamen, nannte man diese frühsozialistische Art der Landwirtschaft "Flurzwang".

Sonntag, 29. März 2009

Sonntagspredigt

Nach der kurzen Nacht der Zeitumstellung eine Meldung der Schweizer Nachrichtenagentur SDA:

Der Kanton Luzern hat nach mehr als 500 Jahren das Tanzverbot an Feiertagen abgeschafft. Mit einer hauchdünnen Mehrheit von 51 zu 50 Stimmen kippte die Ratsversammlung des mehrheitlich katholischen Kantons am letzten Montag das Verbot. Die Grünen-Abgeordnete Katharina Meile, die den Vorschlag eingebracht hatte, erinnerte an die Trennung von Kirche und Staat. Es sei paradox, dass es Diskotheken erlaubt sei, Musik an Feiertagen zu spielen, es aber verboten sei, dazu zu tanzen. Dagegen argumentierten Vertreter konservativer Parteien, dass es unbegreiflich sei, dass nicht an sechs Tagen im Jahr die Ruhe respektiert werden könne. Bislang galt das Verbot an Karfreitag, Ostersonntag, Pfingstsonntag, am Eidgenössischen Bettag, an Weihnachten und Aschermittwoch. Die Debatte über eine Abschaffung ist in Luzern schon seit dem Jahr 1428 immer wieder geführt worden.

Samstag, 28. März 2009

Wochenrückblick

Seit Jahren wird in diesem Land gestritten über Einführung oder Nichteinführung einer privaten Bundesbahnpolizei. Seit Jahren wird in diesem Land gestritten über Kompetenzen und Nichtkompetenzen eines derartigen Sicherheitsdienstes. Seit Jahren wird in diesem Land gestritten darüber, ob es gut oder schlecht ist, Schusswaffen einsatzbereit auf sich zu tragen.

Nun ist die Sache vom Tisch, eine "unheilige Allianz von SP und SVP" habe "das Gesetz über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen mit 99 zu 85 Stimmen versenkt", lese ich. Dies bedeutet konkret, dass sich die Mitarbeiter der SBB-Tochter Securitrans bei ihrer Arbeit weiterhin an Bestimmungen aus dem Jahr 1878 zu halten haben.

Wer wissen will, was das "Bundesgesetz zur Handhabung der Bahnpolizei" vom 18. Februar 1878, in Kraft getreten am 15. Juni 1878 festlegt, kann es hier nachlesen:
http://www.admin.ch/ch/d/sr/7/742.147.1.de.pdf

Donnerstag, 26. März 2009

Mein Willisau II

Jetzt weiß ich, warum man hier "Chottu" (für Kottwil) sagt, aber "Ettiswiiu" (für Ettiswil); "Ruusmu" (für Ruswil) aber "Rüediswiiu" (für Rüdiswil); "Waauwu" (für Wauwil) aber "Egolzwiiu" (für Egolzwil); "Hergiswiiu" (für Hergiswil), aber "Tääju" (für Daiwil); "Oberwiiu" (für Oberwil), aber "Hüüsu" (für Hüswil); "Tietu" (für Dietwil), aber "Reiferswiiu" (für Reiferswil); "Wüschiswiiu" (für Wüschiswil), aber "Blochbu" (für Blochwil).

Es gibt Gesetzmäßigkeiten, auch in der Mundart. Es unterliegt keiner Willkür, wann eine Ortsnamensendung -wil verschwindet (= sogenannte Reduktionsregel) und wann sie sich auf die Dialektaussprache von -wil, also -wiiu beschränkt:

Wenn der erste Wortteil des Ortnamens zweisilbig ist, bleibt der zweite Teil mehr oder weniger unverändert (-wil = "-wiiu").

Wenn aber der erste Wortteil einsilbig ist, reduziert sich der zweite Teil zu -el. Da im Luzerner Hinterland das "l" zu "u" vokalisiert wird (wie, nebenbei bemerkt, das harte "l" in allen slavischen Sprachen, zB im Polnischen, wo es geschrieben so aussieht: "ł" - was immer wieder zu Konfusionen führt, da gewisse Profis im Buchdruckergewerbe meinen, es handele sich um ein korrigiertes, also durchgestrichenes oder eliminiertes "l"), entsteht hier ein reines "u".

Mittwoch, 25. März 2009

Mein Basel II

Bin über den Münsterhügel gelaufen. Oben nix Neues, außer dass am Münster die Münsterbauhütte wohl nie ihre Zelte abbaut. Der Himmel über der Pfalz sah zum Fürchten aus. Die kleinen Läden am Münsterberg haben sich allesamt in blühende Kinderschuhparadiese verwandelt. Da soll noch einer von Überalterung der Gesellschaft sprechen! Obwohl auf der anderen Seite, beim Abstieg zur Mittleren Rheinbrücke, am Rheinsprung wie eh und je die bunten Kondome im Schaufenster der Condomeria leuchten. Strom gibts hier Tag und Nacht mehr als genug.

Montag, 23. März 2009

Der Schuhmacheraltar

Neue Woche, alte Frage: wo ist das Werkzeug des heiligen Crispin abgeblieben?

Der Schuhmacheraltar in der Heilig Blut Kirche in Willisau: Der Inschrift nach zu urteilen (Mitte, unten, hinter der Muttergottes mit dem Leichnam Jesu auf dem Schoße: "Bruderschaft der h.h. Martyrer Crispini und Crispiniani, Anno 1678") handelt es sich bei der rechten Figur (vom Betrachter aus gesehen) um den heiligen Crispinian, bei der linken um den heiligen Crispin (mit Vollbart). Crispinian hält demnach den Schuhmacherhammer in seiner rechten Hand vor der Brust. Crispin hält sein Werkzeug, wie man sieht, nicht mehr in der Hand. Seine rechte Hand ragt leer in die Luft. Die Hand- und Fingerstellung deutet darauf hin, dass die Hand so gemeißelt oder geschnitzt wurde, dass ein Werkzeug zwischen die Finger und in die Handfläche passt. Beide Schuhmacherpatrone halten in ihrer linken Hand den typischen Palmwedel - zum Zeichen des überstandenen Martyriums.

Beide sehen gut genährt und fröhlich aus. Beide tragen schöne Gewänder und schöne Stiefel. Und beide ziert, wie alle anderen Heiligenfiguren an diesem Ort, ein stachliger Heiligenschein.

Sonntag, 22. März 2009

Sonntagsgebet

Seit ich in der Schweiz bin, suche ich etwas, das mich an früher erinnert. Etwas zu essen. Ich bin nicht hungrig. Nicht heißhungrig und nicht ausgehungert. Ich möchte nur gerne etwas zwischen den Zähnen, auf der Zunge, im Gaumen spüren, das mich an früher erinnert. Das mich im guten Sinne an früher, zum Beispiel an den Pfauenhof in Liestal erinnert. Bisher habe ich nichts gefunden. Das Brot schmeckt anders, die Milch schmeckt anders, die Schokolade schmeckt anders. Es gibt nichts mehr zu essen in diesem Land, dachte ich schon, das so ist wie früher. Es ist ja auch kein Wunder. Die Zeiten ändern sich und die Gewohnheiten ändern sich. Ganz zu schweigen von Gesetzen, Umwelteinflüssen, Werbeversprechen, Konsumententäuschen, erlaubten und unerlaubten Tierquälereien wie Kastenstandhaltung von Mutterschweinen oder Zwangsfütterungen, etwa einem gewaltsamen Einpressen von Futterbrei durch ein Rohr direkt in den Magen von Enten und Gänsen und so weiter.

Gestern Mittag fand ich auf der Hauptgasse vor dem Rathaus, was ich gar nicht mehr suchte. Zuerst war es nur das Wort. Es lag unschuldig und handgeschrieben über der Kilopreisangabe auf einem Zettel in einer Apfelkiste: "Glockenapfel". Ich schmeckte ihn auf der Zunge, bevor ich ihn in die Hand nahm und daran roch. Dann war es der Apfel selbst. Ich biss hinein. Der Glockenapfel. Ein Winterapfel. Ein Zufallssämling. Wie früher! Bei der Bürner Großmutter! Der Hellerhofbauer war schon am Zusammenpacken. Er verkaufte mir die Glockenäpfel von der Ladefläche seines Kleinlasters. Und gab mir seine Prognose zur Bisluft mit auf den Heimweg.

Ein Glockenapfel liegt jetzt immer neben meinem Computer. Damit ich ihn läuten kann, wenn der Text nicht mehr weiter will oder sich nicht an seine Umgangsformen hält. Mit dem Glockenapfel bringe ich meinen Text zur Räson. So wie Nationalratspräsidentin Chiara Simoneschi-Cortesi mit ihrem Glöckchen die Parlamentarier zur Räson bringt und rhetorische Eskapaden abstraft. Sie hat im Gegensatz zu mir noch ein zusätzliches Mittel zur Hand: sie kann den Herren und Damen, wenn sie denn nicht Hören wollen, das Fühlen beibringen. Und ihr Mikrofon abstellen.

Samstag, 21. März 2009

Meine Schweiz III

Ein CVP-Nationalrat sagte vor ein paar Tagen im Nationalratssaal: «Peer Steinbrück definiert das Bild des hässlichen Deutschen neu. Er erinnert mich an jene Generation von Deutschen, die vor sechzig Jahren mit Ledermantel, Stiefel und Armbinde durch die Gassen gegangen sind.»

Dieser Herr Nationalrat hat ein sehr kurzes Gedächtnis.

Erstens sind die von Herrn Nationalrat so genannten "hässlichen" Deutschen nicht vor sechzig Jahren "durch die Gassen" gegangen. 1949? Wo denn?

Zweitens sind die von Herrn Nationalrat so genannten "hässlichen" Deutschen vor siebzig bis fünfundsechzig oder gar vierundsechzig Jahren von Schweizer Bankiers und Schweizer Regierungsvertretern in makellos weißen Hemdkragen mit offenen Armen empfangen worden.

Hätte die offizielle Schweiz im zweiten Weltkrieg nicht erfolgreich als Hitlers Hehler funktioniert, wäre der Krieg wahrscheinlich ein paar Monate, wenn nicht Jahre früher zu Ende gewesen und das Leben einiger Hunderttausend, wenn nicht Millionen hätte gerettet werden können. Die deutsche Kriegsmaschinerie wäre ausgetrocknet, irgendwann hätte ihr schlicht das Bargeld gefehlt, wenn niemand mehr ihr schmutziges Gold entgegen genommen und gegen eine frei konvertierbare Währung umgetauscht hätte.

Schon damals galt in der Schweiz, was heute wieder gilt: "beggar thy neighbour."

Die Schweiz ist ein traditionalistisches Land. Die Tradition, mehr oder weniger schmutziges Geld in der ganzen Welt einzusammeln, hat sich, wie wir alle wissen, unverändert bis heute erhalten.

Freitag, 20. März 2009

Meine Schweiz II

Die Schweizer Zentralbank hat, damit die Schweiz ihre Waren besser exportieren kann, den Kurs des Schweizer Franken künstlich gesenkt.
Dadurch schwächt die Schweiz die Weltwirtschaft. Und damit stärkt die Schweiz die Schweizer Wirtschaft. Dies nennt man Protektionismus.
Protektionismus ist das Gegenteil von freier Marktwirtschaft.
In Englisch (manche verstehen ja besser englisch als deutsch): "beggar thy neighbour". Allgemein verständlich übersetzt: "selber überleben, indem man den Nachbarn in Armut stürzt".

Die Schweiz hat als erstes Land in der momentanen weltweiten Finanzkrise die internationale Solidarität aufgekündigt. Aus Selbstzweck. Aus unverhohlenem, lächelndem, ewig freundlichem Egoismus.

Die Schweiz behauptet, sie wolle dadurch nur die Inflation im eigenen Land bekämpfen. Dass dies Auswirkungen auf andere Länder habe, sei nicht beabsichtigt.

Donnerstag, 19. März 2009

Mein Willisau

Die halbe Stadt ist in der Kirche zusammengekommen, um dem Schneebrettopfer vom Napf die letzte Ehre zu erweisen. Junge Menschen stehen schon eine Stunde vor Beginn des Gottesdienstes um die Kirche herum, umarmen sich, weinen, trösten sich, ziehen weiße Taschentücher hervor, schiefen, putzen sich die Nasen, warten, schweigen, verteilen Blumen. Die Sonne scheint. Der Schnee hier unten ist längst verschwunden. Die Bauern auf Vorberg haben ihre Gülle ausgefahren. Es ist heute unvorstellbar, dass einer von Schneemassen, hart wie Beton, vor erst einer Woche erdrückt wurde.
Wohlgemerkt: es war dunkel. Und mitten in der Nacht. Natürlich stelle wieder nur ich die Frage, warum man eigentlich nachts, auch wenn Vollmond ist, Schneeschuhwandern muss. Warum man das nicht tagsüber tun kann. Warum dieses Land so überheblich geworden ist. Wo die Demut, die Selbstkritik, die Selbstzweifel, ja vielleicht ein bisschen Gottesfurcht abgeblieben ist. Es gibt nur noch Machtanspruch. Und zwar einen absoluten. Wir, sagen hier alle außer mir, herrschen über den Tag und die Nacht. Um jeden Preis.

Mittwoch, 18. März 2009

Mein Basel

Der Formonterhof wird von außen renoviert. Bis zu 14 Farbschichten müssen an einzelnen exponierten Stellen des Gebäudes an Vor- und Rückfassade sowie an den beiden über die Nachbarhäuser hinausragenden Giebelfassaden entfernt werden. Sie werden ersetzt durch einen Neuanstrich im bisherigen Ocker-Farbton, welchen die Denkmalpflege als Originalfarbton des Berri-Umbaus erkannt hatte. Seinen Namen hat der Formonterhof vom französischen Adligen Graf Jean Formont de la Tour. Seine Witwe erwarb das bestehende Anwesen an der heutigen St. Johanns-Vorstadt 27 im Jahr 1729 und ließ auf zwei gotischen Vorgängerbauten ein neues Haus erstellen.
Über die Fahrt mit der SBB schweige ich höflich [...]. Anmerken kann ich in diesem Zusammenhang, dass ich mich nach den gepflegten Kurz- oder Langkombinationen der NOB sehne, in denen es einen nie ekelt, die Toilette zu benützen. Auch sehne ich mich nach geputzten Fensterscheiben. Und nach einem einzigen, kurzen Augenblick im fahrenden Zug jenseits (von Hamburg Richtung Sylt fahrend) des Nordostseekanals. Positiv ist, dass ich in Sursee aus der SBB aussteige und in den letzten Bus über Kottwil nach Willisau einsteige. Dieser Bus bringt mich bis fast vor die Mühlentür.

Dienstag, 17. März 2009

Meine Schweiz

Ich habe mir vorgenommen, nur noch Positives zu berichten. Ansonsten zu schweigen. Heute: Sonne. Erster Spaziergang durch den schneefreien Guonwald oder die Hirseren hoch durch die Höll auf Vorberg, Vorberg Schlössli, Mätteberg, Mörisegg bis zur Oberen Scheimatt. Nach der Rückkehr holte ich den Willisauer Boten ins Atelier hoch und entnahm ihm, dass die Gulp weiblich ist. Die Gulp liegt gegenüber von [dem oder der?] Guon am anderen Hügel, im Tal zwischen den beiden Hügeln ist Willisau eingegraben. Von der Gulp stammt die Mutter der Hauptfigur meines Buches, und von Guon der Vater.

Montag, 16. März 2009

Mein Garten

W. schickt Fotos vom Garten. Hier eine Ecke am Eingang zur einen Haushälfte.

Schneeglöckchen schießen aus dem Boden ohne mein Zutun. Tulpen schießen aus dem Boden ohne mein Zutun. Osterglocken schießen aus dem Boden ohne mein Zutun.

Und die Steineule mit den Metallaugen und Metallohren wartet geduldig. Ohne mein Zutun. Auf ihre lebendigen Artgenossen, die Waldohreulen.

Sonntag, 15. März 2009

Zentralschweizer Literaturtage 2009

10:00 – 12:15 Stadtmühle Willisau - Lyrik Matinee
Luisa Canonica (Breganzona)
Pater Eugen Bollin (Kloster Engelberg)
Katharina Lanfranconi (Luzern)
Ueli Schenker (Meggen)
Eugen Rumi (Alberswil)

12.30-14.00 Stadtmühle Willisau - Vier beste Bücher
Literaturkritikerinnen und -kritiker besprechen ihre Lieblingspublikation des Jahres 2008 aus der Zentralschweiz: Urs Bugmann, Josef Bättig und Beatrice Eichmann-Leutenegger besprechen unter der Leitung von Stefan Zollinger
- "Die falsche Herrin" von Margrit Schriber
- "Ob und darin"von Lisa Elsässer
- "Nur Gutes" von Erwin Koch
- "Der Schatten des Pfarrers" von Andreas Iten.

Samstag, 14. März 2009

Zentralschweizer Literaturtage 2009

10:15 Stadtmühle Willisau - Prominente Gäste im Gespräch
Marco Meier (Programmleiter SR DRS2) im Gespräch mit Andreas Iten (Präsident ISSV). Thema: Kultur in den Medien.

13:30 bis 18:15 Stadtmühle Willisau - Sechs Lesungen
13:30 Peter Stobbe (Vaduz)
14:15 Gertrud Leutenegger (Zürich)
15:00 Alex Melzer (Laufenburg bei Basel)
15:45-16:00 Pause
16:00 Verena Stössinger (Binningen bei Basel)
16:45 Martin Stadler (Schattdorf)
17:30 Judith Arlt (Ateliergast der Stadtmühle Willisau und Autorin aus Meldorf, Norddeutschland)

20:00 Rathausbühne Willisau - Trägt nicht alles was uns begeistert die Farbe der Nacht (Novalis)
Szenische Lesung der Siegergeschichten aus dem Kurzgeschichten-Wettbewerb der Zentralschweizer Literaturtage 2009. Sprecherin: Karin Wirthner (Schauspielerin). Sprecher: Frank Demenga (Schauspieler)

Donnerstag, 12. März 2009

schwarzrot

Ich kann es mir leisten, mich mit einem Unbekannten in der Lobby eines Hotels in den Glarner Nationalfarben zu treffen. Ich kann es mir in jeder Hinsicht leisten. Mit meinen grauen Haaren, mit meinem momentanen monatlichen Einkommen, mit meinem GA, mit meinen Plänen, mit meinem Kopf, mit meinem Herzen. Nie aber würde ich, Alter, Falten, Bankkonto, Ehrgeiz oder Kalkül hin oder her, auf die Idee kommen, als erstes einen Unbekannten in dessen Wohnung zu begleiten.
Was an der heutigen Pressekonferenz zur Tötung einer 16-Jährigen bekannt wurde, erschüttert mich aus anderen Gründen als den Rest dieses Landes. Das öffentliche Geschrei um Verwahrung, falsche psychiatrische Prognosen, Versagen der Bewährungshilfen, Pannen bei der Echtzeitüberwachung bzw. rückwirkenden Überwachung des Handys des Opfers, Forderungen nach einem nationalen Alarmsystem bei Entführungen usw. ist für mich pures Ablenkungsmanöver. Schaumschlägerei. Viel Lärm um nichts. Die volle Handyüberwachung hätte das Leben der 16-Jährigen nicht gerettet, denn sie war tot, ehe sie als vermisst gemeldet wurde. Das nationale Alarmsystem hätte aus demselben Grund nicht gegriffen. Die junge Frau wurde nicht entführt, sondern ging freiwillig mit. Sie wurde weder betäubt noch vergewaltigt, sondern erschlagen.
Der vorbestrafte Täter stand unter zeitnaher Betreuung. Wegen seiner erneuten Drogenprobleme war mit seinem Einverständnis eine stationäre Behandlung in Betracht gezogen worden. Der spätere Täter war bereits auf dem Weg zu einem entsprechenden Gespräch in die "auf Suchtkranke spezialisierte Klinik Neuenhof" bei Baden. Da er "zu spät" kam, wie es heißt, wurde das Gespräch vertagt - auf den 10. März. Dies ist die einzige fatale Fehlentscheidung, die ich der Bewährungshilfe anlasten könnte, wenn dies denn meine Sache wäre. Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass in einer "auf Suchtkranke spezialisierten Klinik" nicht rund um die Uhr ein Ansprechpartner vorhanden ist. Sonst verdient diese Klinik diese Bezeichnung nicht.
Man lenkt hierzulande gerne von den eigenen, inneren Problemen ab. Das sieht, wer es sehen will, beim sogenannten "Steuerstreit" UBS/USA in großen (internationalen) Dimensionen. Und das sieht, wer es sehen will, jetzt anlässlich dieses Kapitalverbrechens in etwas kleineren (nicht einmal nationalen, sondern föderalistisch-kleinlichen, kleinstaatlichen) Dimensionen.
Was um Himmels willen treibt junge Frauen, sich beim ersten Kontakt mit einem unbekannten Mann sofort bereit zu erklären, an dessen Wohnort zu reisen und sich in dessen Wohnzimmer zu setzen? Angeblich hat der Täter seit Ende August 2008 30 Frauen angesprochen, von denen etwa "5 - 10" bis in die Wohnung mitgegangen seien. Das müsste in einem aufgeklärten Land wie der Schweiz zu denken geben. Von den angesprochenen Frauen geht rund die Hälfte mit (Dunkelziffer einmal miteingerechnet). 5 - 10 junge Frauen - zwei davon, wie ich lese, bei ihrem "ersten Ausgang" aus der Provinz in die Großstadt - lassen sich von einem x-beliebigen Typen anquatschen, glauben blind, was der erzählt, steigen mit ihm in den Zug nach Baden, dort in den Bus nach Rieden und gehen noch ein Stück zu Fuß und schließlich die Treppen in den zweiten Stock hoch bis zu seiner Wohnungstür. 5 - 10 Frauen fallen auf den Trick eines Fotoshootings und das Versprechen, schnell viel zu verdienen, herein. 5 - 10 Frauen haben mindestens eine halbe bis maximal ganze Stunde Zeit (so lange dauert überschlagsmäßig der Weg vom Zürcher Hauptbahnhof bis zur Wohnung des Täters), erstens diesen Entschluss zu überdenken, zweitens das Gegenüber genauer anzuschauen, drittens wegzulaufen. Keine tut es offenbar, nachdem sie einmal zugesagt hat, mitzugehen. Zu groß ist ... - ja was denn? Der Wunsch, berühmt, geliebt, begehrt, angesehen, reich zu werden?
Himmelnocheinmal, in welcher Gesellschaft wachsen diese Frauen auf? Was geht in ihren Köpfen und in ihren Herzen vor? Warum funktioniert hier kein Warnsystem? Warum erkennen sie weder eine Gefahr noch die Hochstaplerei? Warum haben sie nicht gelernt, zwischen potentiell eher Drogen konsumierenden Männern und potentiell eher als Modefotografen arbeitenden Männern zu unterscheiden? Warum machen sie nicht einmal vor dem Haus Halt, in dem der Mann wohnt, und das überhaupt nicht danach aussieht, als würde es ein Fotostudio beherbergen? Warum machen sie nicht wenigstens vor der Wohnungstür Halt?
Was um Himmels willen geht in diesem Land vor? Die Justizministerin will nun ein Alarmsystem einführen, das weiter geht, als das französische Vorbild. Klar. Die Schweizer waren immer schon besser als alle anderen.

Wohlgemerkt: der Täter hat "nur" eine dieser Frauen umgebracht, die letzte. Und natürlich ist dieser gewaltsame Tod eines so jungen Menschen sinnlos und überflüssig. Und natürlich hätte er verhindert werden können, ja müssen. Von verschiedenen Seiten. Angeblich, so der Täter, tötete er, weil er zurück in den Knast wollte. Vielleicht tötete er, weil man ihn tags zuvor abgewiesen hatte. Nur weil er zu spät kam. Und: obwohl er kam.

Mittwoch, 11. März 2009

Superlative

Glarus ist die Bezeichnung für einen Schweizer Kanton sowie für dessen Hauptstadt. Die Stadt Glarus ist die kleinste Hauptstadt der Schweiz. Nach dem verheerenden Brand von 1861 wurde sie quadratisch, mit Straßenkarrees wie in New York, wieder aufgebaut. Das Glarnerland ist eines der steilsten Alpentäler der Schweiz. Das Wappen des Kantons Glarus zeigt als einziges Kantonswappen einen Menschen: den heiligen Fridolin mit Wanderstab und Bibel. Die Stadt Glarus liegt im Schatten des rund 2300 m hohen Vorderglärnisch. Dieser wurde 1655 als erster Berg naturgetreu auf Papier gebannt, vom Atlantenmaler Jan Hackaert in einer großartigen Panoramaansicht. Im letzten Sommer wurde die Tektonikarena Sardonia, dazu gehören u.a. das Martinsloch und die Tschingelhörner, mit der Aufnahme ins UNESCO-Welterbe als weltweit einzigartig ausgezeichnet.

Der Kanton Glarus ist als erster Schweizer Kanton dabei, seine Gemeindestruktur radikal zu reformieren. Die heute noch 25 Ortsgemeinden, 18 Schulgemeinden, 16 Fürsorgegemeinden und 9 Tagwen (auch das ein Glarner Unikum, siehe Verfassung des Kantons Glarus, SR 131.217 Art. 123, der Tagwen besteht aus den Tagwensbürger, andernorts einfach Bürgergemeinde) sollen bis zum 1.1.2011 zu den 3 Großgemeinden Glarus Nord, Glarus Mitte und Glarus Süd zusammen geschlossen werden. Die Glarner sind als hitzige Streithähne bekannt, also erzwang das Glarner Stimmvolk im Rahmen der Abstimmungen zur Gemeindestrukturreform die erste außerordentliche Landsgemeinde seit 120 Jahren. Die Reform wurde trotzdem angenommen und schreite nun "zeitgemäß" voran, wie im Internetauftritt GL2011 nachzulesen ist. Kürzlich machten Schlagzeilen die Runde, dass mehr als die Hälfte der Gemeinden vor dem Zusammenschluss und dem damit verbundenen Machtverlust noch einmal aus dem Vollen schöpfen. Es sollen ja nicht nur 6 Mio Ausgaben eingespart, sondern auch 330 Gemeinderäte abgesetzt werden. Und diese budgetieren, solange sie noch das Sagen haben, fröhlich rote Zahlen, senken Steuern, bewilligen Investitionen ... Die Kantonsregierung sprach prompt ihr Machtwort, nannte das Vorgehen einen "inakzeptablen kurzfristigen Vermögensverzehr" und setzte alle Beschlüsse von Orts-, Einheits-, Schul- und Bürgergemeinden außer Kraft.

In Glarus wurde am 13. Juni 1782 die "letzte Hexe" Europas, Anna Göldi hingerichtet. Im März 2007 lehnten sowohl die Glarner Kantonsregierung wie auch der reformierte Kirchenrat eine Rehabilitation Anna Göldis anlässlich ihres 225. Todestages ab mit der Begründung, sie sei im Bewusstsein der Glarner Bevölkerung längst rehabilitiert. Am 7. November 2007 überwies der Glarner Landrat eine Motion an den Regierungsrat mit dem Auftrag, Anna Göldi zu rehabilitieren. Am 10. Juni 2008 beschloss der Regierungsrat, Anna Göldi 226 Jahre nach ihrer Hinrichtung vom Tatbestand der «Vergiftung» zu entlasten. Zugleich stellte die Regierung dem Parlament den Antrag, den Prozess vom Juni 1782 als Justizmord zu bezeichnen. Am 27. August 2008 genehmigte der Glarner Landrat einstimmig und ohne Diskussion den Beschluss der Regierung. Er anerkannte, dass das damals gefällte Urteil in einem nicht rechtmäßigen Verfahren zustande gekommen und Anna Göldi Opfer eines Justizmords geworden war.

Dienstag, 10. März 2009

rotschwarz

Wie verabrede ich mich mit einem Mann, den ich nicht kenne in der Lobby eines großen Hotels in einer großen Stadt in der großen Schweiz?
Er teilte mir "für alle Fälle" seine Mobilfunknummer mit.
Ich teilte ihm, da ich gerade Mobiltelefonlos lebe, meine Kleiderordnung mit: Schwarzer Mantel, roter Schal sowie, falls es weiterhin schneien sollte, rote Winterschuhe und schwarze Hose.
Er bedankte sich mit einer Lektion Farbenlehre: in der Schweiz seien die Farben rot und schwarz die Glarner Farben.
Ich war wie vom Donner gerührt. Schließlich bin ich, trotz Heirat mit einem Deutschen (heute vor 183 Monaten), immer noch Schweizer Bürgerin, heimatberechtigt in Glarus - und wusste das nicht. Oder anders gesagt: ich war mir bis gerade eben nicht bewusst, was ich zur Schau trage, wenn ich rot und schwarz kombiniere. Ich besitze sogar, ein Geschenk meiner mich umsorgenden Schuhfrau, eine zweifarbige, rotschwarze Strumpfhose, die ich nur zu ganz besonderen Anlässen trage und zu der ich seit langem ein passendes zweifarbiges Schuhpaar suche - nämlich einen reinschwarzen rechten und einen reinroten linken Schuh der gleichen Größe und Marke. Hier stößt sogar meine Schuhhändlerin an ihre Grenzen.

Montag, 9. März 2009

36 ö's

W. schickte mir zum Trost per Mail 36 ö's in einem Wort. Per Videotelefon streiten wir am frühen Morgen darüber, wie ein ö im Plural korrekt geschrieben wird. Ob es die "ö's" sind (wie ich meine). Oder die "öes" (wie er meint). Ich behaupte, da sei kein "e" im Spiel und bleibe bei meiner Version. Den Apostroph setze ich als graphische Hilfestellung. Um Verwechslungen mit Ösen oder dösen (Synonym von schlafen) resp. Dösen (Plural von Dose) zu vermeiden.

Dann meint er, um auf das Wesentliche zurückzukommen, ich sei überempfindlich. Und ich zähle ihm ungerührt alle Ösen auf, die ich in der Werkstatt meiner Schuhmacherin gefunden habe: weiße, blaue, braune, rote Ösen 42x45; Bronzeösen 42x45, 50x65; schwarze Ösen in ganz anderen Größen: 50x58, 42x50; Goldösen 42x45, 80x60 m. GR; Nickelösen 42x50, 80x60, 42x45 m. GR; Ösen bronziert 50x58; Ösen brüniert 50x50, 42x45, 80x60; Bronzeösen m. GR 42x45 sowie neben Karabinerhaken und Jeansknöpfen auch Ösen blank.

Dann erkläre ich meinem Tröööööstebuddha, dass es für mich einfacher wäre, vier Monate zum Beispiel in Jordanien am toten Meer zu verbringen, als vier Monate in der Schweiz. In Amman, sage ich, würde ich einen Arabischintensivkurs belegen und könnte täglich von jeder beliebigen Straßenecke sowie entlang des Highways durch alle Kontrollpunkte hindurch weitere erhebende Gefühle einsammeln. Ich würde vier Monate lang jeden Tag aufs Neue die Bestätigung bekommen, dass ich etwas mehr von der Welt verstehe. In der Schweiz hingegen, beharre ich und er kann mir nicht mehr widersprechen, ist es leider umgekehrt.

Sonntag, 8. März 2009

Der Rasenmäher III

Wahrscheinlich begann alles viel früher. Als ich vor Wochen vor dem Schreibwarenladen aus einer Ausverkaufskiste zufällig die passende Geburtstagskarte für W. herausfischte. Und danach im Laden umständlich nach dem richtigen Geschenkpapier suchte, um das richtige Geschenk zur Karte darin einzuwickeln. Und nach einem Geschenkpapierband in der richtigen Farbe. Und noch einen Moment mit der Buchhändlerin sprach, die gerade vom oberen Stock heruntergekommen war und mich fragte, wie es ginge. An der Kasse wurde mir ein horrender Preis abverlangt. Ich zahlte, ohne mit der Wimper zu zucken, da ich gerade dabei war, mich darin zu üben, horrende Preise in diesem Land zu bezahlen, ohne mit der Wimper zu zucken. Dann zögerte ich doch, und fragte irritiert nach. Die Kassiererin entschuldigte sich auf der Stelle und gab mir zehn Franken auf die Hand zurück. Normalerweise, sagte sie, würden die Kunden mit den verbilligten Artikeln aus der Ramschkiste draußen drinnen sofort zur Kasse kommen. Dann seien die herabgesetzten Waren - in meinem Fall eine schlichte Geburtstagskarte, kaum der Rede wert - eiskalt und sie würde in den Fingerspitzen spüren, dass es sich um einen reduzierten Preis handle.

Ich kann mich nicht entsinnen, wohin ich damals meine Verzweiflung getragen hatte. Wahrscheinlich nur gerade um die Ecke in den dritten Stock. Hinter die Fenster über den Buchstaben "Stadtmühle". Ich musste mich schon damals an einem Ende meiner Welt ziemlich heftig gestoßen haben. Ich musste mir irgendwo einen oder mehrere blaue Flecken zugezogen haben. Am Oberarm oder mitten auf der Stirn. Ohne es zu merken. Wahrscheinlich war der Kopf mit anderem beschäftigt. Oder die Seele abgelenkt, betört. Jetzt kommt die Verzweiflung doppelt und dreifach hoch. Ich bin nicht mehr kompatibel! Ich ertrage weder diese aufrichtige Freundlichkeit noch diese selbstgerechte Denkweise. Ich widerstehe der Versuchung, eine bösartige Frage zu stellen und pflege mein Nordseeheimweh. Ich habe Heimweh nach der Fremde. Ich sehne mich nach dem alten Rasenmäher, den die Vorbesitzer der einen Haushälfte in der Garage am Wattenmeer stehengelassen hatten.

Samstag, 7. März 2009

Der Rasenmäher II

Das Rasenmäherheimweh begann damit, dass W. das Ladegerät für sein Mobiltelefon hier liegen gelassen hatte. Er wird erst an Ostern wiederkommen, bis dahin hat sein Telefon längst keinen Saft mehr. Also lief ich zur Post, kaufte eine Packung Luftpolsterumschläge, riss die dünne Zellophanhülle auf, steckte in einen der Umschläge das Ladegerät, klebte die Adressetikette und eine Zollerklärung darauf, und reihte mich ohne zu murren in die Wartenden vor den beiden offenen Schaltern ein.

Erst als ich wieder in der Mühle war, wunderte mich, dass ich für ein paar Postkarten, drei Briefe und einen Maxibrief Priorität Europa über fünfunddreißig Franken bezahlen musste. Ich studierte die Quittung, die mir auch diesmal, wie schon unzählige Male zuvor an anderen Orten, liebevoll und akkurat zusammengefaltet mitgegeben worden war. Die Dame an Schalter 4 hatte mir für eine Packung Luftpolstertaschen 4 x 3,50 berechnet. Wahrscheinlich, weil ich die Packung, bevor ich sie bezahlte, schon aufgerissen hatte. Weil sich ursprünglich und korrekterweise vier einzelne Luftpolstertaschen in der Originalverpackung befunden hatten. Weil ich eine der vier herausgenommen hatte und damit ein übersichtliches Ganzes zerstört und in seine unübersichtlichen - aber nur so praktisch verwendbaren! - Einzelteile aufgelöst hatte. Nur weil ich das einpackte, was ich wegschicken wollte. Wahrscheinlich, weil ich mich falsch verhalten hatte. Ich habe keine Ahnung, was ich hätte tun müssen, um mich richtig zu verhalten. Und mir wurde schlagartig klar, wie sehr ich hier nicht mehr zu Hause bin. In diesem wohlgenährten Land. Ich verstehe seine Sprache nicht mehr. Und sei es auch nur die Körpersprache. Die Umgangssprache. Die Verhaltenssprache.

Ich lief noch einmal zur Post und bekam zehn Franken und fünfzig Rappen auf die Hand zurück erstattet. Die Auszubildende an Schalter 4 hatte gemeint, wenn 4 Stück in einer Packung drin sind, müsste sie den gescannten Preis entsprechend multiplizieren. Das kann überall passieren. Der mathematische oder logische Fehler ist nicht das Problem. Das Problem bin ich. Das Problem ist, dass ich an diesem Punkt an meine Grenze gestoßen bin. Ich bin hier unwiderruflich fremd.

Freitag, 6. März 2009

Der Rasenmäher

Ich träumte in der Nacht, ich sei zu Hause am Wattenmeer und würde, wie alle unsere Nachbarn, Rasen mähen. Das Gras war in allen Gärten hochgeschossen. Es herrschte ein fröhliches Treiben rundum.
Ich erwachte am Morgen und es war noch dunkel. Ich sah, dass der Platz vor der Kirche schneeweiß war.

Es schneit den ganzen Tag. Unablässig. Der Schnee bleibt nicht liegen, auch rund um die Kirche nicht und nicht auf den Treppenstufen, die zur Kirche hochführen. Der Morgenschnee ist verschwunden, ohne dass jemand einen Besen in die Hand genommen hätte. Und ich begreife, dass der Boden schon zu warm ist. Am Nachmittag steige ich aus Vernunft zum Gütsch hoch. Ich brauche frische Luft. Die Rehe sind nicht da, ihnen ist es zu ungemütlich. Ich sehe nichts, nur Nebel. Ein bissiger Wind treibt mir Tränen in die Augen.

W. antwortet auf meinen Traum, dass es ja, natürlich, auch eine Zeit nach Willisau gebe. Und ich begreife, dass ich mich hier eingeschlossen fühle. Hier - in diesem wohlgenährten Land, in dem man sich im öffentlichrechtlichen Rundfunk in schnippischem Ton darüber mokieren darf, dass die MET in NY 2 Original-Chagalls verkaufen muss, den "Triumph der Musik" und den "Ursprung der Musik", um zu überleben. Ich fühle mich geistig eingekerkert und widerstehe der Versuchung, einen Kollegen zu zitieren. Ich habe Heimweh. Ich habe Heimweh nach unserem alten elektrischen Rasenmäher und nach den Verlängerungskabeln, die ich rund ums Haus spannen muss, um in die letzte Ecke des Gartens zu gelangen, unter den Apfelbaum. Dorthin, wo ich letzten Herbst einen Laubhaufen angelegt habe. In der Hoffnung, es mögen sich Igel darin vergraben.

Donnerstag, 5. März 2009

Die Glasfürbittbilder

Heiliger Crispin, bitt für uns - gestiftet von Eugen Meyer.

Bitt für uns, heiliger Crispinian - gestiftet von [durchgestrichener Vorname?] Maurer.

Ob die Stifter wirklich Schuhmacher waren, wage ich zu bezweifeln.

Eugen Meyer mag der Willisauer Ehrenbürger sein, nach dem die Eugen Meyer-Stiftung Willisau benannt ist. Das Wappen, die siebenblütige rote Blume auf gelbem Grund ist das Familienwappen einer Familie Meyer oder Meier von Willisau-Land, Zweig Wellberg.

Der Maurer hingegen, der seinen Vornamen nicht preisgibt, geht auf den Aargauer Bäcker Heinrich Maurer zurück, das sagt mir das Wappen eindeutig. Heinrich Maurer ließ sich nach siebenjähriger Wanderschaft 1846 aus Liebe zu Anna Peyer in Willisau nieder. Er wurde fortan etwas irreführend "Berner Beck" genannt, wohl weil er aus dem Gebiet des alten bernischen Staates stammte. Seine zweite Frau verriet ihm das Hausrezept von Schloss Heidegg und Maurer stellte seit 1850 ein Gebäck her, dem er einen neuen Namen und eine neue Form gab: das Willisauer Ringli. Das Wappen, der schwarze springende Steinbock vor einer weißen Ziegelsteinwand unter tiefblauem Himmel, brachte er mit. Es ist das Familienwappen der Familie Maurer, die ursprünglich in Schmidrued-Walde in der Region Kulm im Kanton Aargau zu Hause war und dort wahrscheinlich gemauerte Häuser errichtete. Der eine Spross, Heinrich, ging fremd und in die Fremde, und wurde Ringlibäcker in Willisau.

Mittwoch, 4. März 2009

Die Männerseitentür

Die Männerseitentür von St. Peter und Paul in Willisau. Direkt über der Tür befinden sich die bunten Glasfürbittbilder des heiligen Crispin (links) und des heiligen Crispinian (rechts). Nahaufahme folgt.

Rechts daneben der heilige Severin (links), der Strenge, und der heilige Alban (rechts), der Weiße oder aus Alba stammende, mit dem eigenen abgeschlagenen Haupt in der rechten, etwas verwunderten Hand und dem Schwert in der linken. Die beiden Köpfe des heiligen Alban, der enthauptete in seiner Hand und der nicht enthauptete auf seinem Hals, unterscheiden sich nur durch die Augen. Der Kopf in der Hand ist tot, die Augen sind geschlossen. Der Kopf auf dem Körper lebt und die Augen sind offen. Angeblich trug Alban den abgeschlagenen Kopf selbst dorthin, wo er begraben sein wollte - nach Mainz.

Severin ist der Patron der Gefangenen, der Leineweber, der Winzer - er sorgt für die Fruchtbarkeit der Weinstöcke. Zu Alban hingegen soll man beten - wen wunderts? - bei Hals- oder Kopfschmerzen, aber auch bei Pest, Epilepsie oder Harnwegerkrankungen.

Dienstag, 3. März 2009

Die abgebildete Welt

Wer vorgestern mitgewandert ist durch die abgemessene Welt, bekommt hier von Bernhard Granwehr die genaue Karte.

Mit Dank an die Technik und die Elektronik!

Montag, 2. März 2009

Die abgemessene Welt

Wer gestern mitgewandert ist durch die Welt der Schuhfrau, ihrer Vorfahren und meiner literarischen Figuren, bekommt hier von Bernhard Granwehr die technischen Daten:
Start: Menznau, Pfisterhaus
Wegstrecke: 15.1 km
Wanderzeit: 3 h 32
Pausen: Total 1 h 07 (ohne Warten auf Postauto!)
1. Halt: 11 Min.
2. Halt mit Lesung: 57 Min. Ort: Vorder Wellbrig (KO 644878/219441 – SwissGrid)
Ende: Kottwil, Dorfausgang

Sonntag, 1. März 2009

Sonntagslesung


Wie immer am ersten Sonntags des Monats war ich mit meiner Schuhfrau wandern. Diesmal kamen etwa 113 andere mit. Und die Schriftstellerin meiner Schuhfrau las auf dem Wellbrig ein paar Seiten aus dem Manuskript.

Sonntagspublikum


Die etwa 113 Sonntagsmitwanderer (nicht alle passten in den Bildausschnitt) bei der Rast auf dem Wellbrig.