Seit ich in der Schweiz bin, suche ich etwas, das mich an früher erinnert. Etwas zu essen. Ich bin nicht hungrig. Nicht heißhungrig und nicht ausgehungert. Ich möchte nur gerne etwas zwischen den Zähnen, auf der Zunge, im Gaumen spüren, das mich an früher erinnert. Das mich im guten Sinne an früher, zum Beispiel an den Pfauenhof in Liestal erinnert. Bisher habe ich nichts gefunden. Das Brot schmeckt anders, die Milch schmeckt anders, die Schokolade schmeckt anders. Es gibt nichts mehr zu essen in diesem Land, dachte ich schon, das so ist wie früher. Es ist ja auch kein Wunder. Die Zeiten ändern sich und die Gewohnheiten ändern sich. Ganz zu schweigen von Gesetzen, Umwelteinflüssen, Werbeversprechen, Konsumententäuschen, erlaubten und unerlaubten Tierquälereien wie Kastenstandhaltung von Mutterschweinen oder Zwangsfütterungen, etwa einem gewaltsamen Einpressen von Futterbrei durch ein Rohr direkt in den Magen von Enten und Gänsen und so weiter.
Gestern Mittag fand ich auf der Hauptgasse vor dem Rathaus, was ich gar nicht mehr suchte. Zuerst war es nur das Wort. Es lag unschuldig und handgeschrieben über der Kilopreisangabe auf einem Zettel in einer Apfelkiste: "Glockenapfel". Ich schmeckte ihn auf der Zunge, bevor ich ihn in die Hand nahm und daran roch. Dann war es der Apfel selbst. Ich biss hinein. Der Glockenapfel. Ein Winterapfel. Ein Zufallssämling. Wie früher! Bei der Bürner Großmutter! Der Hellerhofbauer war schon am Zusammenpacken. Er verkaufte mir die Glockenäpfel von der Ladefläche seines Kleinlasters. Und gab mir seine Prognose zur Bisluft mit auf den Heimweg.
Ein Glockenapfel liegt jetzt immer neben meinem Computer. Damit ich ihn läuten kann, wenn der Text nicht mehr weiter will oder sich nicht an seine Umgangsformen hält. Mit dem Glockenapfel bringe ich meinen Text zur Räson. So wie Nationalratspräsidentin Chiara Simoneschi-Cortesi mit ihrem Glöckchen die Parlamentarier zur Räson bringt und rhetorische Eskapaden abstraft. Sie hat im Gegensatz zu mir noch ein zusätzliches Mittel zur Hand: sie kann den Herren und Damen, wenn sie denn nicht Hören wollen, das Fühlen beibringen. Und ihr Mikrofon abstellen.
Sonntag, 22. März 2009
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.